Mias Blog-Adventskalender

Heute die letze Folge und somit das Ende von Mias Blog-Adventskalender-Geschichte…

Bestimmt seid Ihr sehr gespannt, ich war es auch 😉 Ihr lest die bisherigen Teile  kursiv gedruckt, dann meinen Abschluss.

Sie lag auf dem RĂŒcken im warmen Wasser des Außenbeckens im Solebad. Sie spĂŒrte das Wasser, das sie trug und blickte entspannt in den Nachthimmel. Der Mond erzĂ€hlte ihr die Geschichte des Tages. Seine Sicht war eine völlig andere als ihre. Seine Geschichte gefiel ihr besser und als er geendet hatte, sah sie, wie etwas vom Mond herunter direkt neben ihr ins Wasser plumpste.
Es glitzerte wunderschön und ohne nachzudenken, streckte sie die Hand aus, um es zu erhaschen. Aber sie war zu langsam, hatte wohl doch einen Moment gezögert. Das Ding rutschte zwischen ihren Fingern hindurch und sank auf den Boden des gekachelten Schwimmbades. Da lag es nun. Ein schwaches Leuchten drang zu ihr herauf. Wie sollte sie an das Ding herankommen. Wenn sie eines hasste, dann war es das Untertauchen. Schon allein die Vorstellung, mit dem Gesicht unter Wasser zu mĂŒssen, jagte ihr trotz der WĂ€rme des Solewassers eine GĂ€nsehaut ĂŒber den RĂŒcken.
An Entspannung war nun nicht mehr zu denken. Wie sollte sie an das matt leuchtende Etwas herankommen, dass zu packen sie um Haaresbreite verfehlt hatte? Sie schaute sich suchend um, als gĂ€be es irgendwo im Außen eine Lösung zu entdecken. Bei aller Anspannung zwang sie sich zur Ruhe und schloss noch einmal die Augen; da fiel ihr ein, wie es gehen könnte.
Sie dachte an Erik, den Bademeister, der ihr vor zehn Jahren in genau diesem Schwimmbad zum ersten Mal begegnet war – einem vertrĂ€umten jungen Mann mit kurzen, glatt gekĂ€mmten dunklen Haaren, stets mit einem Buch vor der Nase, der sie erstaunt und an Paul Celan erinnert hatte. Er saß am Beckenrand auf einem dieser weißen PlastikstĂŒhle, die auch ein Solebad seinen Aufpassern zur VerfĂŒgung stellte und las in einem zerfledderten Taschenbuch, offensichtlich absorbiert von der Geschichte aus einer anderen Welt. ZunĂ€chst traute sie sich nicht, ihn anzusprechen, denn es schien ihr, als sĂ€ĂŸe er inmitten einer Glocke aus flirrenden und tanzenden Satzfragmenten, die sie nicht zu durchbrechen wagte. Doch sie hatte den Lieblingsring ihrer Großtante beim Schwimmen verloren, das kostbarste Etwas, das sie besaß und traute sich nicht, danach zu tauchen. „Entschuldigen Sie, bitte, aber ich habe etwas sehr Wertvolles im Becken verloren, könnten Sie mir vielleicht bei der Suche behilflich sein?
Erik schĂŒttelte sich kurz, blickte sie mit verklĂ€rten Augen an, zögerte danach keine Sekunde und sprang.
NatĂŒrlich war kein Erik in der NĂ€he. Bestimmt war er lĂ€ngst seinen TrĂ€umen hinterhergereist. Als sie sich hilfesuchend umschaute, vermieden die anderen GĂ€ste jeglichen Blickkontakt. Und die aufsichtfĂŒhrende Bademeisterin war gerade mit einigen Kindern beschĂ€ftigt, die albernd und viel zu schnell ĂŒber die glatten Kacheln geflitzt waren. Ihre Super-Idee verflĂŒchtigte sich im Nebel des salzigen Wasserdampfes. Sie sah mit nachdenklichem Blick ĂŒber die erneut von SprudeldĂŒsen in Bewegung gebrachte WasserflĂ€che, da kam ihr just das Ende eines Gedichtes in den Sinn. Verfasst von dem Lyriker Celan, an den sie damals Erik erinnert hatte. 
 ein Wort zu dem du herabbrennst‘. Aus ‚Feuer und Wasser‘. Das konnte kein Zufall sein.
Oder doch? Es war jetzt keine Zeit, um lange nachzudenken, schon gar nicht ĂŒber dieses Gedicht, das sie seit jenem Morgen begleitet, als es eine MitschĂŒlerin vor dem Unterricht an die Tafel schrieb. Obwohl, dieses Gedicht
, konnte es ihr gerade jetzt nĂŒtzlich sein? Sie blickte auf das leuchtende Ding unter Wasser und dann lĂ€chelnd hoch zu ihrem heimlichen VerbĂŒndeten, dem Mond. Plötzlich wusste sie, was zu tun war.
NatĂŒrlich war es riskant, ihren Posten zu verlassen. Aber sie musste etwas riskieren, wenn sie erfahren wollte, wenn sie ĂŒberhaupt eine Chance haben wollte zu erfahren, was da auf dem Schwimmbadboden glitzerte. Betont lĂ€ssig schwamm sie zum Glastunnel, der das Außen- mit dem Innenbecken verband, lĂ€chelte dem alten Herrn zu, der ihr entgegenkam. Mit fĂŒnf StĂ¶ĂŸen durchquerte sie den Tunnel und kletterte gleich am ersten Ausstieg aus dem Wasser. Sie lief zu ihrer Liege, streifte sich noch tropfnass ihren roten Bademantel ĂŒber und kramte in ihrer Tasche.
Ihre Hand umfasste die Taucherbrille, die sie seit Jahren in ihrer Bademanteltasche trug, obwohl sie niemals tauchte. Sie schob die getönten Kunststofflinsen ĂŒber ihre Augen und das Gummiband kniff in ihren Hinterkopf. Nun sah ihr die Welt in weichen GrĂŒntönen entgegen, eine Welt, in der sie ihren Bademantel wieder abstreifen und zurĂŒck ins Außenbecken schwimmen konnte und ihr Gesicht wieder dem lockenden Leuchten vom Beckengrund zuneigte. Doch niemals wĂŒrde sie es ĂŒber sich bringen, ihren Kopf unter Wasser zu tauchen. Da sauste ein grĂŒn glĂŒhender Pfeil aus den Weiten des Sternenzelts herab und landete zischend im Wasser neben ihr und nun kam planschend das Köpfchen seines kleinen Passagiers an die OberflĂ€che. „àžȘàž§àž±àžȘàž”àž”àž•àž­àž™àž„àčˆàžłâ€œ, sagte das Universalpferdchen mit heller Stimme, „ich heiße Wunschwort – und wer bist du?“ „Gertrud“, antwortete die Badende und sah erst jetzt den Fisch auf des Pferdchens RĂŒcken. „Hallo Gertrud, ich bin Taro, gekommen, Dir einen Wunsch zu erfĂŒllen.“ Taro reichte ihr ein Blatt, auf das sie ihren Wunsch notieren solle, den er in einem fernen Land jenseits der Meere an den Wunschbaum hĂ€ngen werde. „Aber mach bitte schnell, es ist ja fĂŒrchterlich kalt bei Euch! Wie hĂ€ltst Du das nur aus im Badeanzug?“
„Musst du mich so hetzen?“, maulte Gertrud und bereute es gleich wieder, denn Taro war nett und sie sah, wie sehr er zitterte. „Tschuldigung?“, murmelte sie, ĂŒberlegte kurz und lĂ€nger und zwei weitere Schwimmrunden der Ă€lteren Dame mit grellpinkfarbener Badehaube weiter begann sie zu schreiben.
„ERIK!“ Echt, jetzt?“, fragte Taro. „Ich bin aus dem fernen Land der Sonne und der WĂŒnsche hierhergereist und du schreibst „Erik“ auf den Zettel. Also, echt jetzt!“
„O.k., ich ĂŒberlege nochmal. Willst du vielleicht solange in das warme Entspannungsbad gehen, dann musst du nicht so frieren!“, bot Getrud an und hoffte so ihre Unhöflichkeit von eben wiedergutzumachen. Sie hatte die letzten Worte kaum ausgesprochen, da war Taro auch schon verschwunden und ein spitzer Schrei aus dem Entspannungsbad zeigte ihr, dass er angekommen war. Gertrud schaute in den Nachthimmel, aber da war kein Wunsch mehr abzulesen. Sie seufzte, rĂŒckte ihre Taucherbrille zurecht und schrieb. „Na, endlich!“, sagte Taro, wieder neben ihr. „Ist das dein Ernst?“, fragte er mit Blick auf das Wort. „Ja!“, sagte Gertrud genervt und fragte sich kurz, ob Taro wirklich die Idealbesetzung fĂŒr diese heikle Aufgabe war. „Na, dann schauen wir mal, ob der Wunschbaum das besser versteht als ich!“, sagte Taro.
Mit einem KopfschĂŒtteln packte Taro das Blatt mit Gertruds Wunsch unter seine linke Seitenflosse und verabschiedete sich mit einem genervten „na dann“ von Gertrud. Dann verschwand er und das Universalpferdchen in den Nachthimmel so plötzlich wie er vorher aufgetaucht war. Nur das langsam verschwindende GlĂŒhen des grĂŒnen Pfeiles zeigte Gertrud, dass sie doch nicht getrĂ€umt hatte und die Begegnung real gewesen war. Einen Augenblick war sie so im Gedanken an diese eigenartige und skurrile Begegnung vertieft, dass sie den Grund fĂŒr die Taucherbrille auf ihrer Nase fast vergessen hĂ€tte. Auf einmal fiel ihr siedend heiß ein, dass sie das Wort falsch geschrieben hatte und somit ihr Wunsch wahrscheinlich gar nicht ErfĂŒllung ging. Traurig und enttĂ€uscht, nahm sie die Taucherbrille ab.
Etwas benebelt von den Ereignissen legte sie sich auf die Plastikliege am Beckenrand, schmiegte sich in ihren roten Bademantel, zog den GĂŒrtel etwas enger zu als sonst und schloss ihre Augen. Angestrengt versuchte sie darĂŒber nachzudenken, was sie geschrieben hatte – dabei bebten ihre NasenflĂŒgel ganz leicht und kaum sichtbar. Niemand anderem außer Erik war dieses PhĂ€nomen je aufgefallen, aber sobald das Beben in diesem Teil des Gesichtes erschien, konnte man sicher sein, dass Gertrud vollkommen eingetaucht war in ihre Gedankenwelt.
„Warum will es mir einfach nicht gelingen, meine Wunschworte aufzuschreiben? Warum macht meine Hand, was sie will sobald ich ihr einen Stift gebe?“
Das undefinierbare Ding am Boden des Solebades leuchtete immer noch matt vor sich hin, Gertrud hatte inzwischen ihre Augen wieder geöffnet und auf einmal ĂŒberkam sie beim Anblick dieses schimmernden Lichtes eine wundersame, nie geahnte Ruhe.
Einen Moment genoss sie den Schwebezustand zwischen Wachen und Schlafen, dann fielen ihr die Augen zu. Bei aller Aufregung um das Etwas auf dem Grund hatte das warme Salzwasser eine sehr entspannende Wirkung. Gertrud schlief ein. ZunĂ€chst kĂ€mpfte sie noch dagegen an und versuchte, wach zu bleiben, schließlich wollte sie doch endlich eine Lösung fĂŒr die Bergung finden
 doch dann gab sie sich dem Schlaf hin, der sie schnell sanft umhĂŒllte. TĂ€nzelnd, schwerelos lief sie auf dem Meeresboden umher. Sie sammelte Buchstaben ein, die dort im Sand lagen, teilweise halb eingegraben. Ein I, ein K, ein R und ein E. Erik! Genau! Es stimmte doch alles. Auch auf dem Wunschzettel stand genau dieser Name, dieses Wort. Plötzlich war sie sich wieder ganz sicher. Diesmal hatte sie doch alles richtig gemacht. Der ErfĂŒllung ihres Wunsches stand also nichts im Weg. Eine große Freude erfasste sie und ihr Herz hĂŒpfte. Sie nahm die Buchstaben, stieß sich vom Meeresgrund ab und ließ sich mit leichten Vor- und ZurĂŒckbewegungen der Beine zur WasseroberflĂ€che hinauf gleiten. Kaum hatte sie ihren Kopf aus dem Wasser gehoben, wachte sie auf. Sie lag immer noch in ihrem roten Bademantel auf der Plastikliege. War also alles ein Traum? Die Buchstaben? Nur ein Traum? Sie rieb sich die Augen. Aber das GefĂŒhl, diese unbĂ€ndige Freude und Zuversicht, die war ganz deutlich spĂŒrbar.
Sie bemerkte, dass es langsam hell wurde, die DĂ€mmerung schlich sich am Horizont heran und hĂŒllte das Schwimmbad in ein blaugraues Licht. So lange hatte sie geschlafen? Das glitzerner Ding am Boden des Beckens strahlte Gertrud entgegen. Sie besann sich: Gestern fiel dieses Ding direkt vom Mond ins Becken und dann nahm ihr Taro auf dem Universalpferdchen ein Wunschwort ab und verschwand damit als grĂŒner Pfeil am Nachthimmel. Welchen Zusammenhang gab es wohl zwischen dem leuchtenden Etwas auf dem Beckengrund und dem Wunschwort? Und dann noch der Traum mit den Buchstaben auf dem Meeresgrund
 Da! Jetzt wurde es ihr klar! Heute war Donnerstag und die FrĂŒhbadezeit begann um 6 Uhr morgens.
Jetzt oder nie! Sie setzte sich schwungvoll auf, streifte ihren Bademantel ab und ging die wenigen Meter bis zur heißen Dusche. Das Unterwasserleuchten ließ sie links liegen. Sie brauchte es nicht mehr, nicht physisch zumindest. Es hatte einen Samen gesĂ€t. Dann der Traum. Das Sinnbild. Erik. Wenn sie es genau besah, schlummerte es seit Jahren in ihr, sie hatte nur nie wahrhaben wollen, wofĂŒr es stand. WofĂŒr sie brannte.
In nichts als heißen Wasserdampf gehĂŒllt, ging sie durch das Drehkreuz, kleidete sich an. Der Bademantel! Vielleicht war es Zeit, sich zu trennen, zu lösen. Von mehr als dem roten Begleiter. FĂŒnf Uhr achtundvierzig. Gertrud wollte das Bad verlassen, bevor die ersten GĂ€ste kamen. Keine Stimmen drangen ihr entgegen, als sie den Eingangsbereich erreichte. Seltsam. Ein erneuter Blick zur Uhr. KopfschĂŒtteln. Sie ging auf die automatische SchiebetĂŒr zu. Festgefroren in keiner Bewegung. Verdammt. Jetzt wollte sie endlich Taten folgen lassen! Was stand denn da? Sie entzifferte mĂŒhsam
 

Wieso war heute geschlossen??? Es war doch Donnerstag – FrĂŒhbadezeit. Als sich Gertrud suchend umblickte, bemerkte sie ein grĂŒnliches Schimmern hinter dem kleinen Regal mit den Flyern fĂŒr die Schwimmkurse, das auf dem kleinen Tisch nahe am Ausgang stand. Als Gertrud nĂ€her trat, bewegte sich der Schimmer und verwandelte sich in das Universalpferdchen. “Na endlich, du SchlafmĂŒtze, das wurde aber so langsam Zeit“. Gertrud beschloss, sich nicht weiter zu wundern. „Wunschwort, was machst Du denn hier und ist Taro auch da?“ „Nee, dem ist es hier zu kalt, der ist lieber beim Wunschbaum geblieben. Wir hĂ€tten da noch mal eine Frage, oder vielleicht sogar einen Vorschlag und haben deshalb mal kurz die Welt angehalten, bis wir das mit Dir geklĂ€rt haben.“
„Hör mal, Wunschwort“, sagte Gertrud leicht ungehalten. „Ich verstehe einfach nicht, was ihr an meinem Wunsch nicht versteht. Ich wĂŒnsche mir Erik, sonst nichts.“
Das kleine Universalpferdchen tĂ€nzelte nervös mit deinen Vorderhufen hin und her. „Das verstehen wir schon, aber
“
„Aber?!“ rief Gertrud aufgebracht, doch dann ließ sie sich resignierend auf die nĂ€chstbeste Bank sinken. Eine große Traurigkeit ĂŒberkam sie. Sie schĂŒttelte langsam den Kopf. „Ich bin so dumm“, sagte sie. „Ich habe mir doch wirklich Hoffnung gemacht.“ Sie lachte verbittert auf. „NatĂŒrlich könnt ihr mir diesen Wunsch nicht erfĂŒllen, ihr könnt mir Erik nicht geben.“
Wunschwort trappte auf sie zu, stupste mit seiner Schnauze an ihr Schienbein und blies warme Luft durch seine NĂŒstern. Gertrud spĂŒrte durch den Stoff ihrer Jeans hindurch diese wohlige WĂ€rme und fĂŒhlte sich augenblicklich besser.
„Gertrud“, sagte das Universalpferdchen sanft. „NatĂŒrlich kann der Wunschbaum deinen Wunsch erfĂŒllen. Also, naja, er kann selbstverstĂ€ndlich n i c h t dafĂŒr sorgen, dass dieser Erik etwas fĂŒr dich empfindet, falls es das ist, was du eigentlich willst. Aber er kann dir eine neue Chance verschaffen, ihm zu sagen, was du fĂŒr ihn empfindest
“
„Wirklich?!“ Gertrud sprang so stĂŒrmisch auf, dass Wortwunsch erschrocken zurĂŒckwich. „Aber wo liegt denn dann das Problem?“
„Meine GĂŒte“, erwiderte das Universalpferdchen jetzt leicht verĂ€rgert. „Wenn du mich einmal ausreden lassen wĂŒrdest
 Also, das Problem ist, dass wir nicht wissen, welchen Erik du eigentlich meinst. Offenbar bist du in deinem Leben bereits 7 von ihnen begegnet.“
Gertrud fluchte laut und lange. Sehr lange. Das Universalpferdchen hielt sich nicht nur die Ohren zu, sondern ging eine Runde schwimmen, noch eine zweite Runde schwimmen und dann zur Abwechslung nochmal eine Runde schwimmen. Als Getruds Fluchen leiser wurde und sie wieder in ganzen und jugendfreien SĂ€tzen sprach, kam es zurĂŒck, setzte sich neben sie und hörte zu.
„Hört das denn nie auf. Nur, weil ich mir einmal was gewĂŒnscht habe. Ich will doch nur den einen, den letzten Erik, die davor, die waren, na ja, eher nix. Der Erste war der in Klasse sieben, der mit der Pralinenschachtel, der war zu lieb und außer den Pralinen und der Zweite 
“
„Es kann nur Einen geben!“, murmelte das Universalpferdchen, gĂ€hnte verstohlen und war gerade in einem völlig anderen und falschen Film. Es sah zum Horizont und erkannte dort die Zeichen, dass ihnen nicht mehr viel Zeit blieb, die Welt noch lĂ€nger anzuhalten, weil Gertrud vor lauter Fluchen immer noch nicht bei Erik sieben angekommen war.
„Nein, sieben auf einen Streich. Kennst du das MĂ€rchen?“, fragte Gertrud plötzlich.
Das Universalpferdchen schĂŒttelte mit dem Kopf und musste passen, es hatte bei Erik vier aufgehört, zuzuhören.
„Also, Gertrud. Ich zĂ€hle jetzt von sieben ab rĂŒckwĂ€rts und wenn du bis dahin noch immer nicht weißt, welchen Erik und ob dann diesen einen Erik und was du dem wievielten-auch-immer-Erik sagen willst, dann ist Schluss mit lustig. Also 
“ Das Universalpferdchen ließ Gertrud nicht noch einmal zu Wort kommen und zĂ€hlte rĂŒckwĂ€rts: „7-6-5-4-3-2-1.“
Getrud holte Luft und in dem Moment klopfte es an der EigangstĂŒr des Schwimmbades. Sie öffnete die TĂŒr und 


 vor ihr stand lĂ€chelnd der alte Herr, der schon am Abend zuvor seine Runden im Solebecken gedreht hatte, neben ihm eine große Reisetasche aus abgewetztem Leder. Gertrud hĂ€tte den Mann unter seiner dicken PudelmĂŒtze beinahe nicht wiedererkannt. Sie drehte sich hilfesuchend zu Wunschwort um, doch in der Sitzecke lag nur etwas grĂŒn schimmernder Staub.
Sie wandte sich dem Überraschungsgast zu: „Was zum Teufel machen Sie denn hier? Sie können nicht einfach im Zeitvakuum auftauchen! Und ĂŒberhaupt, können Sie nicht lesen? Das Schwimmbad ist geschlossen!“

„Beruhigen Sie sich, bitte. Ich habe durchaus gemerkt, dass Sie mich nicht in Ihrer Geschichte haben wollen“, entgegnete der Mann, der unbeirrt lĂ€chelte. „Stattdessen jagen Sie irgendwelchen TrĂ€umen, WĂŒnschen, Pferdchen, Fischen und Verflossenen hinterher. Vielleicht liegt der SchlĂŒssel zu Ihrer Sehnsucht aber anderswo?“
Der Mann bĂŒckte sich, nahm einen braunen Pappkarton aus seiner Reisetasche und hielt ihn Gertrud entgegen. Die dachte nur: Schöne Bescherung.
Zögernd nahm sie den Karton entgegen. Er war sehr schwer! Was sollte sie bloß damit! Sie hatte so gehofft, das Erik in der TĂŒr gestanden hĂ€tte. Erik, der in ihrem Traum bereits das grĂŒn leuchtende Etwas vom Boden des Schwimmbades geborgen hatte. Und nun dies! Andererseits strahlte der alte Herr Vertrauen und Sicherheit aus. Vielleicht konnte der Inhalt seines Kartons doch helfen? Nachdenklich blickte sie auf diesen hinunter. Als sie wieder aufblickte, war der Überbringer verschwunden. Es wurde ja immer schöner! Sie kam sich vor wie im falschen Film.
Sie schleppte den Karton ins Bad zurĂŒck zu ihrer Plastikliege und setzte ihn schwer atmend darauf ab. Der Bademantel lag auch noch dort. Sie schĂŒttelte den Kopf. LĂ€ngst hĂ€tte sie ihn entsorgen sollen! Es bringt nichts, an alten, ĂŒberholten Dingen zu hĂ€ngen und UnnĂŒtzes aufzubewahren. Dann wandte sie sich wieder dem Pappkarton zu. Was mochte der Herr wohl Geheimnisvolles darin mitgebracht haben, von dem er meint, dass es besser sei als ihre TrĂ€ume und WĂŒnsche, ja mehr noch, sogar der SchlĂŒssel zu ihrer Sehnsucht? Woher sollte er wissen und wie sollte so etwas jemals in einen Karton passen. Sie war ein kleines bisschen wĂŒtend, weil scheinbar nichts funktionierte. Aber sie war auch neugierig. Vorsichtig und zugleich gespannt hob sie ganz langsam den Deckel an. Wenn jetzt nicht bald etwas Entscheidendes geschah, wĂŒrde sie nie an das grĂŒn schimmernde Etwas im Schwimmbecken herankommen. Sie atmete tief und spĂŒrte ihr Herz vor Aufregung heftig schlagen. Da! Was sie vorfand, war ein langes Seil mit einem Magneten und einer Art Suppenkelle am unteren Ende . Sie hob es an und fand es sehr schwer. Das war kein normales Seil, das war ein Ankertau, mit Blei beschwert. FrĂŒher hatte sie einige Bootstouren mit ihrem Onkel und ihrer Tante unternommen, daher kannte sie solche Taue. So eins mit Blei wird eben fĂŒr Bootsanker benutzt, damit es unter Wasser bleibt und den Anker hĂ€lt. Sie betrachtete stirnrunzelnd das Ende des Taus mit dem Magneten und der Kelle und bewegte es nachdenklich hin und her.

Und was sie faszinierte, war weniger dieser seltsame Fund in einem Pappkarton, ihr geschenkt von einem vermeintlich Unbekannten. Was sie voll und ganz gefangen nahm, war die Klarheit, mit der sie mit einem Mal ihre Gedanken sah – ja, bald körperlich fĂŒhlte! Das Labyrinth der vielen Wege, Irrewge, Kreise und Knoten in ihrem Kopf wurde zu einem geraden Pfad. Und sie wusste nun: Wie Blei hatten ihre Gedanken sie in der Vergangenheit gelĂ€hmt, wie ein Tau gefesselt. Erik – wie ein Magnet hatte die Vorstellung von ihm alle Energie auf sich gezogen in ihrem Kopf. Doch nun war sie frei, frei selbst zu wĂ€hlen, zu fĂŒhlen. Und ihren Wunsch zu bergen. Der Wunsch der doch nur so einfach wie lebenswichtig war. Der Wunsch, der nur aus einem Wort bestand. Sie betrat den neuen Pfad ihres Lebens. Sie ließ allen Ballast fallen, ging wie in Hypnose und doch so klar wie noch nie zum Becken und sprang mit einem leichten, regenbogenförmigen Kopfsprung hinein.

Nach zwei krĂ€ftigen SchwimmzĂŒgen unter Wasser tauchte sie wieder auf – es war nicht das Eintauchen, sondern ausschließlich das senkrechte Hinabtauchen bis zum Boden des Solebades, das ihr eine solche Angst bereitet hatte –, drehte sich auf den RĂŒcken und ließ sich schwerelos in dem salzhaltigen, warmen Wasser treiben. Durch die Glaskuppel im Dach betrachtete sie den verhangenen Himmel, der jeden Blick auf den Mond am Morgen verhinderte. Auf einmal löste sich erneut etwas Leuchtendes aus dem trĂŒben Einerlei, fiel durch das dicke Glas hindurch direkt neben ihr ins Wasser und sank schwach schimmernd zu Boden.

„NatĂŒrlich! Dass ich da nicht gleich draufgekommen bin! Der Mond hat mir eine seiner TrĂ€nen geschenkt.“ Wie oft hatte sie mit ihrer geliebten Großtante Schumanns Vertonung des RĂŒckert Gedichtes „Der Himmel hat eine TrĂ€ne geweint“ gehört und sich dabei einen kugelrunden Vollmond vorgestellt, dem nach und nach eine TrĂ€ne aus dem Gesicht kullert.

„Der Himmel hat eine TrĂ€ne geweint,
Die hat sich ins Meer zu verlieren gemeint.
Die Muschel kam und schloß sie ein;
Du sollst nun meine Perle sein.
Du sollst nicht vor den Wogen zagen,
Ich will hindurch dich ruhig tragen
“

(Friedrich RĂŒckert)

Und wie oft hatte ihre Großtante ihr die Geschichte vom Zauber der MondtrĂ€nen erzĂ€hlt, die – wenn sie auf die Erde sinken – WĂŒnsche in Worte verwandeln können. Einfach so. Damit wir sie besser verstehen und auch benennen können, damit sie nicht WĂŒnsche bleiben mĂŒssen, sondern auch in ErfĂŒllung gehen dĂŒrfen.

Langsam formte sich im Innern Gertruds ihr Wunschwort, sie spĂŒrte, wie die Buchstaben und Silben zunĂ€chst zueinander fanden und dann  nach außen drĂ€ngten.

Sie kam aber nicht dazu, das magische Wort auszusprechen, denn vom Beckenrand drangen Rufe an ihr Ohr: „Hallo Sie, was machen sie da und wie kommen sie hier ĂŒberhaupt rein. Das Bad hat doch noch geschlossen.“ VerĂ€rgert drehte sich Gertrud wieder in die Bauchlage zurĂŒck. Wer wagte da, den magischen Moment zu stören. Es stand eine Gestalt in weißer Hose und weißem Hemd am Beckenrand. Der Stimme nach zu urteilen, wohl ein mĂ€nnliches Wesen, das jetzt auch noch heftig mit den Armen fuchtelte. Genau erkennen konnte Gertrud das Wesen allerdings nicht, denn beim Schwimmen trug sie ihre Brille nicht.  „Kommen Sie sofort raus aus dem Wasser, das glitzert ja schon ganz komisch, was haben sie denn da gemacht?“ Gertrude kraulte auf den Beckenrand zu und wunderte sich. Wieso konnte sie auf einmal kraulen, normalerweise schwamm sie doch eher wie eine ertrinkende Ente, verzweifelt darum bemĂŒht den Kopf immer trocken ĂŒber Wasser zu halten.

Egal, es war keine Zeit, sich darĂŒber jetzt Gedanken zu machen. Sie tat wie ihr geheissen wurde und stieg die Leiter hoch und aus dem Wasser. Sie blinzelte und konnte die weisse Gestalt nach wie vor nur undeutlich wahrnehmen. „Einen Moment bitte“  sagte sie, ging zu ihrer Liege und suchte nach ihrer Brille. Als sie diese aufgesetzt hatte, drehte sie sich um zu dem weissen Mann, der sie so unfreundlich angeherrscht hatte. Was sie sah, verschlug ihr nahezu den Atem und ihr Herz schlug urplötzlich schneller. Diese kurzen, glatt gekĂ€mmten schwarzen Haare… sollte ihr Wunsch doch noch wahr geworden sein? Ihr ganzer Körper begann zu kribbeln und sie wusste nicht, ob es von der Aufregung kam oder von der KĂŒhle der Luft, denn das Bad war heute ja nicht geheizt. „Erik?“ sagte sie fragend. „Ja, ich bin Erik und morgen trete ich hier meinen Dienst wieder an. Ich wollte heute nur mal schauen, ob sich hier etwas verĂ€ndert hat. Woher kennen Sie mich?“ „Ach, ich komme schon lange hierher zum schwimmen… Wo waren Sie denn so lange?“ „Ich bin um die Welt gereist und habe die StĂ€dte meiner Lieblingsautoren besucht. Ich hatte etwas Geld dafĂŒr zusammengespart. Ich war in New York auf den Spuren von Irving Yalom, habe ihn sogar live in einer Lesung gehört, dann in Vermont (James Irving), spĂ€ter in Lissabon (Pessoa)… wenn Ihnen die Namen etwas sagen. Und noch in einigen anderen Orten. UrsprĂŒnglich wollte ich nĂ€mlich Schriftsteller werden, aber dann bin ich irgendwie hier gelandet. Nun lese ich dafĂŒr viel, wann immer ich Zeit finde . Ab und zu schreibe ich sogar selbst ein Gedicht oder eine kurze Geschichte. Vor ein paar Tagen schaute ich in den Himmel und sah den Mond, der zeigte so ein seltsames glitzerndes Leuchten und das sagte mir, komm, fahr zurĂŒck nach Hause, da wartet etwas auf Dich.“ DafĂŒr, dass Erik sie am Anfang so unfreundlich aus dem Wasser komplementiert hatte, war er jetzt ganz schön redselig und sogar sehr freundlich!
Gertrud schaut ihn vertrĂ€umt an. „Was das sein kann, habe ich allerdings noch nicht herausgefunden, aber ich bin ja auch noch nicht lange wieder da.“ Er machte eine Pause, rĂ€usperte sich verlegen und schien sie das erste Mal richtig wahrzunehmen. Einige Sekunden ruhte sein Blick in ihrem. „Ich bin erstmal froh, dass ich hier morgen in der vertrauten Umgebung meinen Job wieder aufnehmen darf.“ Nun ziehen Sie sich aber bitte an, wie gesagt, heute ist das Bad geschlossen und ich möchte keinen Ärger. Und Sie sicherlich auch nicht! Gertrud fasst sich ein Herz und sagte „Wenn Sie heute noch frei haben, vielleicht mögen Sie mir von Ihrer „Autorenreise“ erzĂ€hlen und auch eins Ihrer Gedichte vorlesen? Vielleicht in dem kleinen Cafe um die Ecke? Ich muss mich jedenfalls erstmal aufwĂ€rmen…und auch sortieren nach allem, was mir in den letzten Tagen so begegnet ist. Da ist ein starker Kaffee immer hilfreich!“ Sie erschrak selbst ĂŒber ihre direkte Frage, sonst war sie selten so mutig. Aber es war keine Zeit mehr zu verlieren, sie musste die Gelegenheit beim Schopf fassen. Bevor er wohlmöglich wieder auf Reisen ging! Erik zögerte nur kurz und stimmte dann zu. Kurze Zeit spĂ€ter verliessen sie gemeinsam das Schwimmbad. ZurĂŒck blieb das Ding mit dem schwachen Leuchten am gekachelten Boden. Irgendetwas hatte es ja wohl mit Eriks spontaner Heimkehr zu tun.

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DANKE noch einmal ganz besonders an SABINE Hinterberger fĂŒr die Idee und den Anfang, fĂŒr das Geschenk, mitmachen zu dĂŒrfen. Danke an alle, die mitgeschrieben haben…ich hoffe, Ihr seid mit dem Ende einverstanden! Das war nicht einfach, aber am Ende floß es dann doch. FROHE WEIHNACHTEN fĂŒr Euch und vielleicht ein paar freie Tage…Zeit, vergangene Texte zu lesen und neue zu beginnen, zum Jahr und zum Jahresende zu schreiben, dankbar zu sein fĂŒr alles was war…

FĂŒrs NEUE JAHR 2018 viele neue Ideen, Texte und Geschichten, die Vollendung angefangener Werke, den Beginn neuer, ein Jahr mit Sich-NĂ€herkommen beim Schreiben, um dann auch die Herzen Eurer Leser mit Euren Texten gewinnen… vor allem aber fĂŒr Euch selbst Freude, Frieden und Liebe!

 

5 Gedanken zu „Mias Blog-Adventskalender

  1. Liebe Renate,

    Was ein schönes Ende – besonders die Integration der Wohnorte der Autoren hat mir gut gefallen….

    Und nun wĂŒnsche ich dir inspirierende RauhnĂ€chte und wĂŒrde mich sehr freuen, wenn wir alle nochmal zusammen schrieben…..

    Alles Liebe

    Hedda

  2. Liebe Renate,
    das ist ein wunderbarer Abschluss. Ich hatte gestern auch schon dran gedacht, dass diese Figur in Weiß Erik sein könnte. Dachte aber auch, das könnte vielleicht kitschig werden. Aber nein, so ist es richtig stimmig, Erik auf den Spuren großer Schriftsteller, das macht die Geschichte rund und letztlich bleibt es unserer Phantasie ĂŒberlassen, ob Gertrud ans Ziel unserer TrĂ€ume kommt. Mir gefĂ€llt auch, dass das Glitzerding im Becken bleibt, so wird der Zauber nicht gebrochen.
    Ich wĂŒnsche Dir ein Frohes Weihnachtsfest und einen guten Jahresanfang 2018.
    Herzliche GrĂŒĂŸe
    Anne Winckler

  3. Liebe Renate,

    vielen Dank, dass Du das Ende in die Hand genommen und es so schön rund gemacht hast. Besonders schön finde ich, dass es dennoch Vieles offen lĂ€sst und man sich eine Fortsetzung weiterspinnen kann. 🙂

    Liebe GrĂŒĂŸe und ein schönes & gesundes neues Jahr fĂŒr Dich!
    mo…

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